Benachteiligung von Zweitfamilien in der gesetzlichen Krankenversicherung

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    • Benachteiligung von Zweitfamilien in der gesetzlichen Krankenversicherung

      Seit 2009 werden zahlreiche Zweit- und Patchworkfamilien mit erheblich höheren Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung belastet. Dies gilt für alle Familien, bei denen eine beitragsfreie Familienversicherung des Ehepartners oder von Kindern ausgeschlossen ist und ein Familienmitglied sich freiwillig in der GKV versichern muss. Die Zusatzbelastung ist um so höher, je mehr Kinder vorhanden sind, aber nicht beitragsfrei mitversichert werden können.

      Eine von der Mehrbelastung betroffene Zweitfamilie entsteht dadurch, dass ein Ehepartner eigene Kinder mit in die Ehe bringt und eine beitragsfreie Familienversicherung ausgeschlossen ist. Das ist z.B. bei Beamten und Selbstständigen der Fall, oder wenn die Gesamteinkünfte einen Grenzbetrag überschreiten.

      Die Beiträge freiwilliger Mitglieder in der GKV (z.B. einer "Hausfrau und Mutter") orientieren sich an der "wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit" der Familie. Zur Beitragsbemessung werden auch die Bruttoeinkünfte des nicht GKV-versicherten Ehegatten herangezogen. Von den Einkünften werden zunächst Freibeträge für "Unterhaltsberechtigte" abgezogen. Der Rest wird dann zur Hälfte dem freiwilligen Mitglied als beitragsrelevantes Einkommen zugeordnet. Ggf. erfolgt eine Anhebung auf den Mindestbetrag (knapp 900 Euro) oder eine Kürzung auf den Höchstbetrag (rund 1900 Euro). Es sind dann 15,5% als GKV-Beitrag zu zahlen. Der Mindestbeitrag liegt derzeit bei etwa 130 Euro, der Höchstbeitrag bei rund 290 Euro.

      Jahrzehntelang wurden als "Unterhaltsberechtigte" alle Familienmitglieder anerkannt, z.B. alle Kinder und Enkel, die im Haushalt lebten. Seit 2009 werden nur noch "gemeinsame" Kinder als Unterhaltsberechtigte berücksichtigt. Dies ergibt sich aus dem neuen § 240 Absatz 5 SGB V.

      Gegenüberstellung anhand einer Patchworkfamilie mit drei nicht gemeinsamen Kindern, ein Einkommen i.H.v. 4000 Euro (brutto)

      alte Regelung:
      4000 Euro abzgl. 3 Freibeträge (rund 2700 Euro) = 1300 Euro
      davon die Hälfte = 650 Euro
      zu zahlen (15,5% vom Mindestbetrag): rund 130 Euro

      neue Regelung:
      4000 Euro abzgl. 0 Freibeträge (0 Euro) = 4000 Euro
      davon die Hälfte = 2000 Euro
      zu zahlen (15,5% vom Höchstbetrag): rund 290 Euro

      Mit der Änderung des § 240 Absatz 5 SGB V wollte man ursprünglich AUCH Kinder mit Freibeträgen berücksichtigen, die nicht mehr im Haushalt leben, aber weiterhin unterhaltsberechtigt sind. Der GKV-Spitzenverband hat dies in seinen einheitlichen Beitragsgrundsätzen jedoch nur für Familien umgesetzt, in denen der leibliche Elternteil oder der Stiefelternteil Einkünfte aus einer selbstständigen Tätigkeit erzielt. In allen anderen Familien werden nur noch "gemeinsame" Kinder berücksichtigt.

      Diesen Irrsinn kann man auch anders beschreiben:
      Bei gleich hohen Einkünften ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Familie mit 3 nicht gemeinsamen Kindern 3x so hoch (4000 Euro) wie die einer Familie mit 3 gemeinsamen Kindern (1300 Euro),
      oder
      Bei gleich hohen Einkünften ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Arneitnehmer-Familie mit 3 nicht gemeinsamen Kindern 3x so hoch (4000 Euro) wie die einer Familie mit 3 nicht gemeinsamen Kindern und Einkünften aus einer selbstständigen Tätigkeit (1300 Euro),


      Unser Widerspruch und eine Klage beim Sozialgericht wurden abgewiesen.

      Ich habe zum Sachverhalt auf www.bundestag.de eine öffentliche Petition eingereicht (Nr. 24346). Sie wird wohl ab Mitte Mai zu sehen sein und könnte dann auch mitgezeichnet werden.
    • Hallo,
      interessanter Beitrag. Ich habe ein ähnliches Problem, wenn auch nicht ganz so gravierend - es geht "nur" um ca 50,-€ monatlich - aber immerhin. Ich finde Ihre Argumentation absolut nachvollziehbar. Was ist aus der Petition geworden? In der Liste der zu unterzeichnenden Petitionen ist sie leider nicht (mehr) vorhanden.
      Gruß, WirbelStef
    • Hallo WirbelStef,

      meine Petition wurde nicht angenommen, weil es bereits eine andere Petition zum Thema gab. Allerdings habe ich diese nicht finden können und auck keine Infos erhalten über den Inhalt oder das Ergebnis.

      Unsere Berufung wurde vom Landessozialgericht zwar angenommen, aber bis heute ist da nichts geschehen. Es dauert halt ... :(

      Vom Abgeordneten Harald Weinberg (die Linke) wurde das Thema als schriftliche Anfrage an den Deutschen Bundestag gerichtet und von der parlamentarischen Staatssektretärin Urike Flach (FDP) am 04.04.2012 wie folgt beantwortet:

      "...Handlungsbedarf derart, dass auch Familien mit anderen Familienkonstellationen (... Patchworkfamilien) um Kinderfreibeträge entlastet werden, sieht die Bundesregierung insbesondere deshalb nicht, weil seitens des Stiefelternteils keine Unterhaltsverpflichtungen bestehen. Zudem besteht mit der Beitragsfreiheit des familienversicherten Kindes bereits eine Entlastung." Nachzulesen in der Bundestagsdrucksache 17/9263 vom 05.04.2012, Nr. 101 (Seite 69).

      Die Antwort ist im Grunde ein Witz, denn es ging ja genau darum, dass eine beitragsfreie Familienversicherung der Kinder aus anderen Gründen "per Gesetz" ausgeschlossen ist, und was hat das denn mit Unterhaltsverpflichtung zu tun?
    • Hallo,

      und was hat das denn mit Unterhaltsverpflichtung zu tun?

      Das Erbringen des Versicherungsschutzes im Krankheitsfall gehört mit zum Unterhaltsbdarf eines Kindes.

      Wenn also die beitragsfreie Mitversichung beim Stiefvater nicht möglich ist, muss der leibliche Vater dieses Kindes diese leistung erbringen. Dieses aber auch vorrangig zum Stiefvater.

      LG chico
    • Es geht weniger um den Versicherungsschutz, denn der besteht ja.
      In unserem Fall geht es um die Festelegung der Beiträge meiner freiwillig versicherten Ehefrau in der GKV, die selbst keine eigenen Einkünfte erzielt.
      Ich bin als (inzwischen pensionierter) Beamter privat versichert und meine drei leiblichen, bei mir lebenden Kinder aus meiner Vorehe (über mich) ebenfalls. Zugang zur GKV haben meine Kinder und ich "per Gesetz" nicht.
      Für die Beitragsbemessung meiner Frau (sie ist Stiefmutter meiner Kinder) werden ausschließlich MEINE Einkünfte herangezogen (gekürzt auf die halbe Beitragsbemessungsgrenze). Dabei werden seit der Gesetzesänderung 2009 keine Freibeträge mehr für meine Kinder abgezogen, weil diese Kinder nicht unsere "gemeinsamen" Kinder sind.
      Die Antwort von Frau Flach ist deshalb "falsch", weil ich gegenüber meinen Kids sehr wohl unterhaltspflichtig bin und sie auch nicht beitragsfrei familienversichert werden können. Dennoch werden sie nicht berücksichtigt. So werden meine halben Bezüge rechnerisch meiner Ehefrau zugeordnet (1 Person), und die andere Hälfte mir für meine drei Kinder und mich (4 Personen). Ich halte das für sehr fragwürdig.
    • Benachteiligung von Zweitfamilien in der gesetzlichen Krankenversicherung

      Meine Frau ist bei der
      Mhplus ohne eigenes Einkommen freiwillig versichert und hat jetzt zwei familienversicherte Kinder nach §10 SGB,
      mein Einkommen als privatversicherter Stiefvater wird zur Hälfte angerechnet. Haben wir
      einen Anspruch auf 2 Freibeträge nach §240(5) SGB, war meine Frage. Meine Pension wird auch hälftig angerechnet.

      Als meine Frau und ich 2009 heirateten, wurden uns für drei Kinder drei Freibeträge gewährt. In der Berechnung der Freibeträge für 1.1.2009 wurde genau unterschieden zwischen nicht -familienversicherten und familienversicherten Kinder und die Freibeträge in der Ehegatteneinstufung gewährt. Erst 2012 ändert sich plötzlich die Taktik des Spitzenverbandes durch Rundschreiben RS 2009/314: Die Ehegatteneinstufung geht auch geht grundsätzlich von gemeinsamen Kindern aus, obwohl es im Gesetz anders steht und der Spitzenverband in seinem Schreiben zugibt. Selbst im Handbuch der Krankenversicherungen (1760006_Feb13_KV_Handbuch_2013) steht auf Seite 94 nichts von gemeinsamen Kindern, sondern so dass die Kinder meiner Frau wie 2009 einen Freibetrag erhalten würden, weil mein Einkommen nach §240 zugrunde gelegt wurde. Man kann ja nicht hingehen und einen Stiefvater, der für seine Stiefkinder aufkommt, auch mehr als andere Krankenkassenbeiträge zahlen lassen und ihn auch noch bestrafen, weil er leistungsfähig ist. Das ist schlichtweg ungerecht. Ich denke, dass dies ein bewusster Systemfehler im Versicherungswesen ist, der nichts aber auch gar nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat. Selbst in der Bundestags-Drucksache 16/13428 Seite 76 und Seite 94, auf den sich der Spitzenverband bezieht, geht es um Kinder und der Gesetzestext $240 (5) ist geblieben. Alle familienversicherten Kinder müssten dann als gemeinsam unterhaltsberechtigt anzusehen sein, wenn der Ehemann Alleinverdiener ist und damit für den Unterhalt aufkommt. Mutter und Stiefvater sind damit defacto gemeinsam unterhaltsberechtigt, obwohl der Gesetzestext nur von familienversicherten Kindern spricht und es mit Sicherheit so meint. Auch der Spitzenverband der KV macht ein juristisches Salto mortale im Rundschreiben RS 2009/314. Der Gesetzestext enthielte eine ganz andere Aussage als eigentlich gemeint wäre. Selbst Aussagen aus der Bundesdrucksache werden falsch zitiert, seien auf Seite 140 zu finden, tatsächlich hat die Drucksache aber nur 100 Seiten. Wozu haben wir denn Gesetze? Diese müssen eindeutig sein und dürfen nicht so interpretiert werden, wie man es gerade hätte. Die Justitia ist nicht grundlos blind. Und auf so ein Schreiben gründen die Krankenversicherungen ihre Beitragsberechnungen, die unter Umständen hohe Rückforderungen der Beitragszahler zu Folge haben werden.
      Meine Recherchen zeigen immer wieder, dass die Krankenkassen den tatsächlichen Wortlaut des §240(5) SGB seltsamerweise drei Jahre (2009, 2010, 2011) gehändelt haben, aber dann plötzlich 2012 auf neue wundersame Weise neu interpretiert haben, ohne dass der Gesetzestext geändert wurde. Die allgemeinen Krankenkassen gehen hin und holen sich ausgerechnet Geld von Patchwork-Familien, die den Mut aufbringen trotz schlechter Beziehungserfahrungen einen Neubeginn mit Kindern zu wagen.

      Ich wäre daran interessiert , wie das Gerichtsverfahren abgelaufen ist. Krankenkassen erfinden Gesetze neu und verbiegen sie nach ihren Bedürfnissen, so geschehen mit dem §240(5). Das ist ein schwerer Vorwurf, der sicherlich auch die Presse interessieren würde.
      Gruß
      CP

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von christianpuhl ()

    • Es sind weitere 2,5 Jahre vergangen und NICHTS ist geschehen. Unsere Klage liegt wohl immer noch im Posteingang des LSG.

      Inwischen ist mir aber klar geworden, warum der Gesetzgeber so "komisch" argumentiert:
      Das SGB V gilt für meine Ehefrau (Zweitfrau und nicht Mutter meiner Kinder). Danach sind ihre berücksichtigungsfähigen Einkünfte natürlich nicht zu verringern, weil SIE gegenüber meinen Kindern nicht unterhaltspflichtig ist. Für mich (Beamter) gilt das SGB V nicht, da meine Kinder und ich zwangsläufig privat versichert sind.

      Der Punkt ist, dass bei MEINEN Einkünften zunächst MEINE Unterhaltspflicht gegenüber MEINEN Kindern (nach BGB ...) berücksichtigt werden müsste, BEVOR dann die Hälfte des verbleibenden Betrages meiner Frau als berücksichtigungsfähiges Einkommen für ihre KV angerechnet wird.
    • Hallo Roland,

      da bleibt es nur noch zu hoffen, das der Fall der beim BSG liegt gut begründet ist und durchkommt. Das ist aber üblich, das die Richter dann andere Fälle solange auf Eis legen. Danach läst es sich für die Richter besser und einfacher entscheiden, ohne entsprechenden Mehraufwand. Vielleicht bekommst Du ja über deinen Anwalt die Aktennummer mit Gericht raus. Unter Umständen könnte man dann hierüber Kontakt mit den anderen Verfahrensbeteiligten aufnehmen. Ein Versuch ist es Wert. Soweit zur Thematik Vernetzung. Vom Grundsatz her müste es ja seitens Deines Gerichts oder Anwalts einen entsprechenden Vermerk oder Notiz geben, bzw. einen Antrag. Das macht man aber in aller Regel nur dann, wenn so ein Fall beim gleichan Anwalt ist, wegen der besseren Kenntnis des Sachstandes im anderen Fall.

      Gruss

      Ephesus
    • Hallo EPHESUS,
      die Problematik von Grunsatzentscheidungen auf Basis halbherziger Argumentationen ist mir bekannt. Wir haben daher den RA des anderen Verfahrens ermittelt und angeschrieben. Er hat uns dann seine Begründung geschickt und wir haben geringfügig "nachgebessert". Von daher hoffen wir das Beste.

      LG
      L Roland
    • Hallo Roland!
      Dein letzter Eintrag ist ja jetzt schon ein Jahr her. Gibt es seither eine Entscheidung des LSG in deinem Fall?
      Mein Problem ist nämlich ähnlich gelagert und die KV Beiträge (in dem Fall meines freiwillig versicherten Mannes) sind exorbitant (rund 360€ im Monat). Seine beiden Kinder, die in unserem Haushalt leben, werden bei der Beitragsbemessung nicht berücksichtigt. Daher wäre es sehr interessant zu wissen, ob es da mittlerweile was neues gibt...
      Danke
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